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Die Milliarden-Abzweigung

Feb. 9, 2023

Jahr für Jahr werden in der zweiten Säule Versicherte um hunderte Millionen Franken geprellt. Die Abzockerinnen heissen Axa, Zurich, Swisslife, Helvetia, Bâloise usw. Die Aufsichtsbehörden schauen zu.

 

Wie die meisten VPOD-Mitglieder bin ich in einer autonomen Pensionskasse versichert. «Autonom» bedeutet hier: Die Kasse betreibt das ganze Geschäft selbst. Sie bewirtschaftet das Kapital für die Altersrenten und versichert auch die Risikoleistungen, die bei Invalidität und Tod fällig werden. Für letztere erhebt die Pensionskasse den sogenannten Risikobeitrag, der nicht zum Sparguthaben kommt; er ist vielmehr eine Versicherungsprämie. Wie bei der Autoversicherung: Wenn ich einen Schaden habe, erhalte ich Leistungen, wenn nicht, kriege ich das Geld trotzdem nicht zurück.

Enorme Margen

Was geschieht mit dem überschüssigen Geld, wenn die Risikobeiträge nicht aufgebraucht werden? Bei einer autonomen Kasse bleibt es in der Kasse, also bei den Versicherten, und bewirkt einen Anstieg des Deckungsgrades. Anders bei den sogenannt teilautonomen Kassen. Diese sind zu klein, um die Risikoversicherung selbst zu betreiben (ein einziger teurer Schadenfall würde sie sprengen). Sie schliessen also mit einer Versicherungsgesellschaft eine Rückversicherung ab. Die Sammelstiftungen von Versicherungen wählen als ihren Rückversicherer die «eigene» Versicherung. Mit diesen Rückversicherungen macht die Privatassekuranz ein Milliardengeschäft.

2015 etwa wurden von 2,6 Milliarden Franken an eingegangenen Risikoprämien lediglich 1,4 Milliarden benötigt; fast 1,2 Milliarden wurden abgezweigt.

Die Zahlen werden Jahr für Jahr von der Finma (Finanzmarktaufsicht) erhoben und publiziert. Im letzten Jahrzehnt hat die Privatassekuranz im Schnitt jedes Jahr 1 Milliarde abgezockt. Die Finma hat bis heute nie interveniert. Auch die Eidgenössische Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (der ich als einziger Arbeitnehmervertreter angehöre) hat bisher nichts unternommen. Dabei geht es auch anders; einige kleinere Pensionskassen machen’s vor. Um der Abzocke durch die Versicherungsgesellschaften zu entgehen, haben sie gemeinsam eine eigene Rückversicherung gegründet, die PK Rück. Sie gehört den Kassen Abendrot, Nest, PKG, Previs und Zuger PK – und sie verfolgt kein Gewinnziel.

Der Stiftungsrat einer Sammelstiftung von Versicherungen wie Axa, Bâloise, Helvetia oder Swisslife müsste eigentlich die Rückversicherung mit der jeweiligen Versicherungsgesellschaft kündigen, weil die Prämien überrissen sind und ein Wechsel der Rückversicherung grosse Einsparungen ergäbe. Er trägt die Verantwortung dafür, dass Vorsorgegeld abfliesst. Auch die regionalen Aufsichtsbehörden müssten gemäss Art. 62 BVG intervenieren und die Stiftungsräte anhalten, das Vorsorgegeld zugunsten der Versicherten und nicht zugunsten von privaten Gewinnen zu verwenden. Und die Oberaufsichtskommission müsste bei den regionalen Aufsichtsbehörden intervenieren, wenn diese weiterhin nichts tun.

Betroffen sind vor allem kleine Unternehmen, wo oft auch die Arbeitgeber die Problematik nicht erkennen. Im VPOD-Organisationsbereich etwa Heime oder kleine Regionalspitäler, die bei der Auslagerung zu einer Sammelstiftung geraten sind. Auch wir als Gewerkschaft müssen handeln: nämlich auf diese Arbeitgeber zugehen und den Wechsel zu einer autonomen Kasse verlangen – oder zu einer Kasse, die der PK Rück angeschlossen ist.

Parlament gegen Versicherte

Aber warum bleibt dieser Abfluss von Versichertengeldern seit Jahren unbeanstandet? Der Grund ist, dass die Versicherungsgesellschaften mit ihren Gewinnen wiederum die Broker füttern, die ihnen Versicherungsverträge zuschanzen. Bei einer sozialen Institution, die ich bei einem Pensionskassenwechsel begleitet habe, flossen vorher jährlich 30 000 Franken aus überrissenen Risikobeiträgen an den Broker, der vor vielen Jahren den Versicherungsvertrag vermittelt hatte . . . Das eidgenössische Parlament hat es auch 2022 abgelehnt, dieser korrupten Praxis den Riegel zu schieben.

Aus: VPOD-Magazin, Februar 2023

Dieser Text von Stefan Giger, alt VPOD-Generalsekretär und Mitglied der SP Entfelden, wurde erstmals im VPOD-Magazin veröffentlicht.

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