Über Stefan Galligani
Stefan Galligani ist Rechtsanwalt lic. iur. und kandidiert in Oberentfelden neu für die Finanzkommission.
Sterben die Hausfrauen in der Schweiz aus? So titelte die AZ am 20. Juli 2021 einen Artikel (Seite 4) und führte aus, die Ehe sei keine Lebensversicherung mehr für Frauen. Am Beispiel der Familie Morf aus dem Zürcher Oberland, welche sich vor Jahren bewusst für die klassische Rollenverteilung entschied, wurde aufgezeigt, dass es sich bei dieser Lebensweise um ein Auslaufmodell handelt. Dies deshalb, weil es in der Schweiz immer weniger nur Hausfrauen oder Hausmänner gibt.
Auch das Bundesgericht hat dieser Realität Rechnung getragen und in den letzten Monaten einige Leitentscheide gefällt, welche insgesamt die Stellung von Hausfrauen schwächt. Demnach ist eine Ehe nicht mehr automatisch lebensprägend, wenn sie 10 Jahre gedauert hat oder ein Kind aus ihr hervorgegangen ist etc. Generell wird auch einer über 45-jährigen Hausfrau zugemutet, nach einer Scheidung wieder ins Berufsleben einsteigen zu können. Frau Morf stellt diesbezüglich nüchtern fest, wenn sie sich heute scheiden lassen würde, würde sie klar den Kürzeren ziehen. Es brauche eine Hausfrauen-Gewerkschaft, so Frau Morf.
Ihr Vorschlag ist folgerichtig. Das Betreuen von Kindern gehört zur sog. Care-Ökonomie. Diese Arbeit bezeichnet Tätigkeiten des Pflegens und Sich-Kümmerns. Der Ausdruck care work entstand vor gut 20 Jahren im englischen Sprachraum. Es beinhaltet bezahlte oder unbezahlte Arbeit, welche zumeist von Frauen erbracht und als gesellschaftlich notwendig betrachtet wird. Die Covid-Pandemie hat die Bedeutung von Care-Arbeit noch deutlicher gemacht.
Im Rahmen einer (privaten) Weiterbildung in Geschichte an der Uni Zürich beschäftigte ich mich mit Gegenwart und Zukunft der Care-Arbeit. So wurde mir anlässlich dieser Weiterbildung erstmals folgendes richtig bewusst (ich folge dabei einem Aufsatz von Mascha Madörin, Überlegungen zur Zukunft der Care-Arbeit):
- Man kann immer schneller Autos und Computer produzieren und Informationen verarbeiten, aber man kann nicht immer schneller pflegen, Kinder aufziehen, kochen, sich von einer Krankheit erholen oder Gespräche führen,
- Es gibt Bereiche des Wirtschaftens, in denen die Arbeitsproduktivität ständig zunimmt und andere, wo das nicht der Fall ist,
- Care-Arbeit ist ein Prinzip, das im Gegensatz zum gewinnorientierten Wirtschaften ist.
Care-Arbeit wird als Sorge- und Versorgungswirtschaft verstanden. Der Zweck dieses Wirtschaftens ist die direkte Produktion und Erhaltung von Menschen. Diesen Zweck gibt es nicht nur bei der unbezahlten Care-Arbeit, sondern auch bei der Care-Arbeit in einem gewinnorientierten Spital. Kennzeichen der Care-Arbeit ist, ob bezahlt oder unbezahlt, dass sie im Wesentlichen ein frauendominierter Wirtschaftssektor darstellt. Die Wertschöpfung ist relativ niedrig mit entsprechend tieferem Lohnniveau.
Die Konsequenz davon ist, dass der eine Teil der Wirtschaft durch technischen Fortschritt und Kostenwettbewerb produktiver wird, der andere Teil der Care-Wirtschaft hingegen stagniert. Der stagnierende Wirtschaftszweig ist im Gegensatz zum erstgenannten Teil der Wirtschaft durch eine personenbezogene Dienstleistung gekennzeichnet. Eine Interaktion zwischen Menschen steht bei der Care-Arbeit im Vordergrund. Deshalb ist es verfehlt zu versuchen, die Kosten im Gesundheitswesen einzudämmen, indem versucht wird, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. In Tendenz bedeutet dies, dass die Leistungen abnehmen oder die Löhne gedrückt werden. Dieses ungleichzeitige Wachstum zwischen den beiden Wirtschaftszweigen führt dazu, dass die Staatsausgaben (oder allenfalls die Höhe der Sozialversicherungsbeiträge) in der Care-Arbeit höher ausfallen als bisher. Die Care-Arbeit, ihr Wesen und auch ihre Finanzierung, wird uns in Zukunft wohl oder übel noch mehr beschäftigen als uns lieb ist.